Wie treffe ich die richtige Entscheidung?

Müssen Entscheidungen schwer sein? Benötigen komplexe Entscheidungssituationen ebenso komplexe Entscheidungsfindungsprozesse? Gibt es auch einfache Wege, um zu einer Entscheidung zu kommen und trotzdem gleichgute Ergebnisse zu erzielen? Oder bessere?

Pistazie oder Heidelbeer, Pullover oder Hemd? Ohne Entscheidungen kommen wir nicht durchs Leben. Welche Eissorte wir wählen oder was wir anziehen möchten sind in den meisten Fällen gut machbare Entscheidungen. In schwierigen Entscheidungssituationen hingegen mögen wir uns manchmal wünschen, jemand anderes würde die Entscheidung für uns treffen. Doch was wäre, wenn uns das Ergebnis nicht gefällt? Würden wir die Entscheider dafür verantwortlich machen, mit ihnen diskutieren? Wäre es dann nicht sinnvoller, schon zu Beginn die Entscheidung selbst zu treffen? Halten wir also schonmal fest: Wollen wir selbst am Steuer des Busses unseres Lebens sitzen ist es gut, wenn wir über Entscheidungskompetenz verfügen. Denn nur dann können wir selbst die Fahrtrichtung wählen.

Medizin, Kunst, Investment-Banking, Yoga? Welche Richtung wollen wir einschlagen? Voraussetzung für die Beantwortung dieser Frage ist es, unsere grobe Zielrichtung zu kennen. Diese festzulegen fällt uns leichter, wenn wir ein übergeordnetes Motto, Leitmotiv oder einen Fixstern haben: Möchten wir Menschen helfen? Etwas im kreativen Prozess erschaffen? Logisch-analytisch tätig sein? Zum Wohlbefinden anderer beitragen?

Wie wählen wir den richtigen Weg dorthin? Eine wichtige Erkenntnis ist es, dass es nicht den einen richtigen Weg für alle gibt. Zu unterschiedlich sind unsere Ausgangssituationen, Fähigkeiten, Erfahrungen, Einstellungen usw. Es gibt nicht mal den richtigen Weg für uns selbst. Denn wann wissen wir, dass ein Weg der richtige Weg war? In der Rückschau. Wenn wir das Ergebnis unserer Entscheidung bereits kennen und mit ihm zufrieden sind. Und selbst dann sind wir nicht den richtigen Weg gegangen. Denn auch Wege gegen die wir uns entschieden haben, hätten uns zu einem lohnenswerten Ziel führen können.

Behalten wir den Fixstern im Blick können wir zumindest einschätzen, ob wir uns in die richtige Richtung bewegen. Stimmt diese weitgehend, können wir auch Umwege entspannter akzeptieren, welche uns ggf. eine wichtige Lernerfahrung für einen späteren Wegabschnitt oder eine anspornende Aussicht auf das was vor uns liegt ermöglichen.

Eine Entscheidung selbst kann in einer Entscheidungssituation unter Unsicherheit jedoch niemals richtig sein. Wir wissen ja noch nicht, wo sie uns hinführt. Daher gibt es keine perfekte Entscheidung. Diese Erkenntnis kann schmerzhaft sein. Oder erleichternd?

Ein vielversprechenderer Ansatz ist es folglich, eine gute Entscheidung treffen zu wollen. Das ist eine Entscheidung mit vergleichsweise hoher Wahrscheinlichkeit, beim Blick zurück zu sagen: Ich bin zufrieden mit diesem Weg.

Der ehemalige Direktor des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, Prof. Dr. Gerd Gigerenzer, forscht über Entscheidungsstrategien und deren Erfolg. Er betrachtet z. B. zunächst, ob alle Alternativen, Risiken und Wahrscheinlichkeiten bekannt sind. Wenn ja, ist das ein Fall für die Statistik. Ein Beispiel wäre das Setzen am Roulette-Tisch.

In der Regel ist aber nicht alles bekannt, es herrscht die bereits erwähnte Unsicherheit in der Entscheidungssituation. Hier unterscheidet er erneut:
Ist eine Situation stabil, sind nur wenige Optionen möglich aber viele Daten vorhanden? Hier lohnen sich komplexe Überlegungen.

Doch was machen wir in einer instabilen Situation, in der es viele Optionen gibt und nur wenige Daten vorhanden sind? Betrachten wir im Weiteren letztere Entscheidungssituation. Als Beispiel nennt Gigerenzer u. a. die Diversifikation bei der Geldanlage. Zur Berechnung der optimalen Verteilung des zur Verfügung stehenden Geldes wurde eine nobelpreisgekrönte Formel entwickelt. Doch deren Variablen zu schätzen ist sehr schwierig. Erst bei einer stabilen Börsen-Situation über ca. 500 Jahre wäre die Anwendung der Formel vorteilhaft. Eine einfache, gleichmäßige Aufteilung des Geldes auf die Anlageformen führt aktuell zu größerem Erfolg.

Insgesamt kommt er zum Ergebnis: In komplexen Situationen bringen einfache Regeln das bessere Resultat. Dieses Vorgehen wird als Heuristik bezeichnet, die man vereinfachend Faustregel nennen kann. Allgemeiner gefasst kann Heuristik auch als Entscheidungsansatz verstanden werden, der versucht, die wesentlichen Informationen zu identifizieren und den Rest zu ignorieren. Ein weiteres Beispiel für ein heuristisches Vorgehen: Im Einstellungsgespräch erfolgt die Beurteilung eines Bewerbers nicht auf Basis einer detaillierten Analyse, sondern auf Basis der groben Einschätzung: Hebt der Kandidat das durchschnittliche Kompetenzniveau der Mitarbeiter und passt er gut ins Team? Nach einer eher analytischen Vorauswahl erfolgt die finale Auswahl eher auf Basis einer Bauchentscheidung.

Karriere oder Familie? Was bedeuten diese Erkenntnisse für eine konkrete komplexe Entscheidungssituation? Laut dem Angstexperten Klaus Bernhardt, der in seiner Arbeit die Erkenntnisse der Hirnforschung nutzt, nimmt unser Bewusstsein pro Sekunde maximal 8 Informationen wahr. Unser Unterbewusstsein mindestens 80.000. Hierin liegt möglicherweise eine Erklärung der Ergebnisse Gigerenzers, nach denen es vorteilhaft ist, bei einer komplexen Entscheidung nur die wesentlichen Faktoren in unsere Überlegungen einzubeziehen und dann eine Bauchentscheidung zu treffen: Bewusst außergewöhnlich viele Parameter zu beleuchten ist ressourcen- und zeitintensiv. Und führt trotzdem in der Regel nicht zu besseren, sondern zu schlechteren Ergebnissen.

Durch die Beschränkung auf die wichtigsten Faktoren verhindern wir eine Überforderung unseres Bewusstseins. Die gewonnenen Erkenntnisse sacken ins Unterbewusstsein. Dort verbinden sie sich mit der unterbewussten Bewertung einer unermesslichen Anzahl kleinerer Faktoren. Wenn wir auf dieser Basis eine Bauchentscheidung treffen, erhalten wir tendenziell die besten Ergebnisse. Man könnte dieses Vorgehen als heuristische Bauchentscheidung bezeichnen.

Klaus Bernhardt weist darauf hin, dass unser Unterbewusstsein Schaden von uns abhalten möchte. Dabei berücksichtigt es viele Aspekte, die außerhalb unseres Bewusstseins liegen und uns eher über ein Bauchgefühl vermittelt werden. Handeln wir über einen langen Zeitraum entgegen unseres Bauchgefühls, schickt uns unser Unterbewusstsein immer deutlichere Warnsignale. Möglicherweise irgendwann in Form von psychosomatischen Erkrankungen.
Bekommen wir solche Warnsignale und forschen bewusst nach ihren Ursachen, stoßen wir oft darauf, dass wir eigentlich schon so ein Bauchgefühl hatten. Ein Gefühl das uns mitteilte, dass uns eine bestimmte Situation nicht gut tut. Doch wir haben es ignoriert oder versucht, es rational zu entkräften, weil wir nicht handeln wollten. Irgendwann fällt uns diese Situation auf die Füße und wir können sie nicht mehr ignorieren. Diese Überlegungen legen nahe, dass wir unserem Bauchgefühl trauen können und es sinnvoll sein kann, schneller auf es zu hören.

Haben wir eine Entscheidung getroffen, hat diese meist Auswirkungen auf
andere von der Entscheidung Betroffene: Partner, Familienangehörige, Arbeitskollegen, Vorgesetzte. Werden sie uns verurteilen, wenn wir ihnen keine ‚rationale‘ Begründung liefern können, sondern ’nur‘ auf ein Bauchgefühl verweisen? Das könnte Angriffspunkte liefern und benötigt Mut, dazu zu stehen. Im Unternehmenskontext führt das teilweise dazu, dass eine Bauchentscheidung nach dem ‚Cover-your-ass‘-Prinzip zusätzlich mit rationalen Argumenten unterfüttert wird. Extra dafür abgestellte Mitarbeiter oder sogar Unternehmensberatungen tragen diese zusammen. Das kostet zwar Ressourcen, führt aber wie gezeigt im Schnitt zu besseren Ergebnissen, als eine Bauchentscheidung zu ignorieren.

Wenn wir am Wunsch nach der perfekten Entscheidung, nach dem perfekten Weg, festhalten, streben wir eine Sicherheit an, die es nicht gibt. Unser Entscheidungsfindungsprozess wird immer komplexer und langwieriger, das Ergebnis immer schlechter. In einer komplexen Entscheidungssituation unter Unsicherheit mit begrenzten Daten gilt daher: Wir können schneller Entscheidungen mit durchschnittlich besseren Ergebnissen treffen, wenn wir nur die wesentlichen Fakten betrachten und dann Bauchentscheidungen zulassen.

Gute Wege finden wir leichter, wenn wir einen Fixstern haben und diesen im Auge behalten. Dann können wir auch mit einem Umweg entspannter umgehen, denn im Anschluss folgen wir wieder unserem Fixstern. Je mutiger wir uns an den kleinen Weggabelungen trauen, unserem Bauchgefühl zu folgen, desto hilfreicher wird es uns an den größeren Kreuzungen des Lebens zur Seite stehen.